Kapitel 3: Geheimniskrämerei
Mai 2003 – Glenfinnan, Schottland
Die Wochen waren ins Land gegangen. Zwischenzeitlich war auch in diesem Teil Schottlands der Frühling eingekehrt. Duncan hatte es sich wieder angewöhnt – so wie er es auch in Paris getan hatte - einmal am Tag Joggen zu gehen. Zudem hatte er auch sein Schwerttraining wieder aufgenommen. Dies war gar nicht so einfach zu bewerkstelligen gewesen, da er hierfür einen Platz suchen musste, der für andere Personen nicht einsehbar war. Er hatte sich jedoch an ein kleines Fleckchen Erde an den westlichen Ufer des Loch Shiel erinnert, welches er schon als Kind im frühen 17. Jahrhundert aufgesucht hatte. Diese Stelle war nur sehr schwer und durch eine schmalen und fast völlig zugewachsenen Pfad zu erreichen. Sollte sich wider Erwarten doch jemand diesem Ort nähern, würde er es sofort hören und hätte noch genügend Zeit sein Schwert zu verstecken. Es war der ideale Platz für Duncan, um ungestört zu trainieren, allein zu sein oder einfach nur seinen Gedanken nach zuhängen, so wie es heute wieder einmal der Fall war. Derzeitig überlegte Mac, was er eigentlich machen sollte.
In den letzten Tagen und Wochen hatte er Rachel bei ihrer Arbeit im Inn unterstützt. Eigentlich war dies nicht notwendig gewesen. Doch da ihm Müßiggang auf Dauer fremd war, hatte er halt mit angepackt, wo immer es ihm erforderlich erschienen war. Noch immer hatte er Rachel nicht erzählt, was ihn hierher – zurück nach Schottland – gebracht hatte. Wenn sie abends beieinander saßen, hatte er sie mit Anekdoten aus seinem mehr als 400 Jahre währenden Leben unterhalten. Allerdings hatte er bisher kein Wort über die Geschehnisse in New York und seine damit zusammenhängende Anwesenheit in Schottland verloren. Er beschloss dies bei passender Gelegenheit nachzuholen. In diesem Moment fasste Mac zudem einen weiteren Entschluss.: Er würde sich hier in Schottland nach einer Bleibe umsehen. Vielleicht konnte ihm Rachel dies bezüglich ja behilflich sein. Durch ihre Arbeit im Gemeinderat von Glenfinnan hatte sie wahrscheinlich eher die Möglichkeit, etwas über zum Verkauf stehende Grundstücke in Erfahrung zu bringen. Er würde sie in jedem Falle fragen. Seinen Leihwagen hatte er inzwischen zurückgegeben. Anstelle des Cherokees hatte er sich einen Landrover zugelegt, der in diesem Landstrich von vielen Einheimischen genutzt wurde, und für die örtlichen Straßenverhältnisse doch besser geeignet war, denn schließlich gab es gerade in hier den Highlands eine Vielzahl an Single Road Tracks. Da er vor drei Wochen von Joe erfahren hatte, dass sich auch ein Käufer für das Hausboot gefunden hatte, stand einem möglichen Umzug in eigenes Heim noch weniger im Wege als vorher. Macs Gedankengänge wurde unterbrochen, als unerwartet Rachel bei ihm auftauchte.
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Ach hier bist du Duncan. Eigentlich hätte ich mir denken können, dass du dir irgendein lauschiges Plätzchen am Loch Shiel suchen würdest.“ meinte sie nur.
„In den letzten Wochen ist ja kaum ein Tag vergangen, an dem du dich nicht zurückgezogen hast.“
„Du wusstest von meinen Ausflügen?“ fragte Mac etwas erstaunt.
„Natürlich. Denkst du es ist mir verborgen geblieben, dass du dich von Zeit zu Zeit davon gestohlen hast? Nur wusste ich bis heute nicht, wohin du gegangen bist. Deshalb bin ich dir gefolgt. Ich wollte einfach feststellen, wo du dich aufhältst, wenn du deine Ruhe haben willst. Ich hoffe, du bist deswegen jetzt nicht sauer.“
„Nein, dass bin ich nicht“ antwortete ihr Mac und verfiel daraufhin wieder in Schweigen.
„Was ist los, Duncan? Irgendetwas ist doch? Nun rück schon raus mit der Sprache. Wo drückt der Schuh?“
„Setz dich doch bitte zu mir, Rachel“, sagte er und überlegte wie er weiter vorgehen und was er sagen sollte. „Seit langem bin dir ja schon eine Erklärung schuldig. Und ich denke, dass ich dir endlich die Gründe darlegen sollte, die dazu geführt haben, warum ich wieder nach Schottland gekommen bin.“
„Ich will dich nicht drängen, Duncan? Aber was...?“
Rachels Frage wurde durch Macs Einwand: „Ich werde es dir erzählen.“ unterbrochen. Und dann begann er seine Geschichte mit der Frage: „Erinnerst du dich möglicherweise an eine andere Legende, die im MacLeod-Clan von Glenfinnan von Generation zu Generation weitergegeben wurde?“
„Nein. Im Moment nicht. An das einzige woran ich mich in diesem Zusammenhang erinnere, sind die Geschichten die sich um deine Person rankten. Mag sein, dass es dan och etwas anderes gibt, doch dann fällt es mir jedenfalls nicht ein. Außerdem reichen die uns vorliegenden Aufzeichnungen nur bis zum Anfang des 17. Jahrhunderts zurück. Alle anderen Unterlagen wurden bei einem Brand vernichtet und gingen somit unwiederbringlich verloren.“
„Es gab da tatsächlich noch etwas oder besser gesagt jemanden.“ sagte Mac. „Schon zu der Zeit als ich ein Kind war, erzählte man sich im Clan eine Geschichte, und zwar die des Connor MacLeod, der 1518 hier in Glenfinnan geboren und ihm Jahr 1536 in einer Schlacht gegen einen verfeindeten Clan, den der Frasers, durch das Schwert eines Mannes so schwer verletzt wurde, dass er wenig später an dieser Wunde gestorben ist. Connor war wie ich - ein Unsterblicher. Genau wie ich wurde er nach seiner Wiederauferstehung durch seinen Clan verbannt. Kaum einen Tag nach seiner Verbannung traf er auf Seamus MacDonald, der ihm auf seinem Grund und Boden eine neue Heimat gab und ihm auch die Kunst des Schmiedehandwerkes beibrachte. Connor lernte Seamus' Tochter Heather kennen und verliebte sich in sie. Die beiden haben sich nach ihrer Hochzeit im Jahr 1538 in der Nähe von Jedburgh niedergelassen und dort bis zum Jahr 1541 gelebt. Nachdem Connors erster Lehrer Ramirez durch den Kurgisen Kurgan getötet wurde, und das Haus durch die gewaltige Kraft des Quickenings in Schutt und Asche zerfiel, sind die beiden nach Glencoe gegangen. Dort haben sie dann bis zu Heathers Tod im Jahr 1590 gelebt. Connor hat sie in Glencoe begraben und ist dann aus Schottland fortgegangen.“
„Wieso sagst du „war“?“ wandte Rachel ein.
„Connor lebt nicht mehr. Er ist tot. Ich bin derjenige der ihn getötet hat. Ich wollte es nicht, und war doch gezwungen, es zu tun. Um das besser verstehen zu können, solltest du wissen, dass es da einen anderen Unsterblichen gab, der viel stärker war, als jeder Einzelne von uns. Niemand von uns hätte es geschafft, ihn alleine zu besiegen, dazu war er einfach zu stark und zu mächtig. Und da die Regeln sagen, dass nur ein Unsterblicher gegen einen Anderen antreten darf, standen wir vor einem großen Dilemma. Connor hat die Zeichen wohl eher erkannt, als ich. Ihm war es früher klar als mir, dass einer von uns beiden dem anderen den Kopf nehmen müsse, um gegen Kell eine reelle Chance zu haben. Ich wollte es wahrscheinlich einfach nur nicht wahrhaben. Verstehst du, Rachel? Ich war gezwungen meinen Freund und Bruder zu töten, und darüber komme ich einfach nicht hinweg.“ sagte Mac mit trauriger Stimme.
„Connor war derjenige der mir alles über das Leben eines Unsterblichen bei brachte. Bevor ich ihn getroffen hatte, wusste ich nicht, was mit mir geschehen war. Drei lange Jahre lebte ich Unkenntnis dessen, was ich war. Ich wusste nicht, warum ich noch am Leben war, und auch nicht, warum ich jedes Mal wenn ich getötet wurde, wieder erwachte. Erst als er mich im Jahr 1625 im Glen Fruin gefunden hatte, erfuhr ich, was mit mir los war. Connor war mein erster Lehrer und hat mir all das gezeigt, was für das Überleben als Unsterblicher wichtig war. Wir waren in der Folgezeit bis zum Jahr 1631 zusammen. Danach trennten sich unsere Wege. Allerdings meist nur für einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten. Mit gewisser Regelmäßigkeit liefen wir uns immer wieder über den Weg, so auch 1712 als ich meine erste Frau Kate kennen lernte, im Jahr 1872 als ich Little Deer, ein weiteren geliebten Menschen, zu Grabe getragen habe, und erneut im Jahr 1992. Danach verschwand Connor auf Nimmerwiedersehen. Ich habe ihn erst im vergangenen Jahr wiedergesehen.
Wie ich später erfahren habe, hatte er sich nach dem Tod seiner Adoptivtochter in eine Art Refugium zurückgezogen. Einen Zufluchtsort für uns Unsterbliche, welcher durch Jacob Kell jedoch zerstört wurde.
Connor war vollkommen verändert und sichtlich gealtert. Er hatte ganz offensichtlich keinen Lebenswillen mehr, nachdem man ihm seiner geliebten Rachel beraubt hatte. Er hat es mir aufgezwungen, ihm seinen Kopf zu nehmen, und dass durch einen Schwerthieb den er mir einst in Italien beigebracht hatte. Es fiel mir so unendlich schwer. Aber auch mir war inzwischen bewusst geworden, dass es keine andere Alternative gab. Wenn eine Möglichkeit gegeben war, einen Kampf mit Kell lebend zu überstehen, dann nur dadurch, dass einer von uns beiden den anderen tötete. Ich nahm mir Connors Kopf und erhielt durch die damit einhergehende Erneuerung seine Kraft und die Macht, die er im Laufe der vielen Jahrhunderte in sich vereint hatte. Dies war letztendlich auch der Grund dafür, dass ich Kell besiegen konnte. Nur durch die von Connor aufgenommene Essenz war es mir möglich, diesem Typen das Handwerk zu legen. Wir Unsterblichen sind nun mal dazu gezwungen nach unseren eigenen Regeln zu leben. ‚Töten oder getötet werden.’ lautet das Motto. Weil es am Ende nur Einen von uns geben kann.“
Für einen kurzen Moment verstummte Mac, bevor er nochmals zum Sprechen ansetzte.
„Durch Joe’s Hilfe ist es mir gelungen Connors sterbliche Überreste nach Glencoe zu bringen. Ich habe ihm damit seinen letzten Wunsch erfüllt, nämlich den, dass er nach seinem Tod neben Heather begraben werden wollte.“
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Rachel sagte zunächst einmal kein Wort. Zu sehr stand sie noch unter dem Einfluss des eben Gehörten. So wie sie das sah, traf Duncan keine Schuld an der ganzen Angelegenheit. Auch wenn er das im Moment nicht wahr haben wollte. Er war noch immer nicht bereit , die Tatsache zu akzeptieren, dass es für ihn keine andere Wahl gegeben hatte. Sie hätte ihm dies gern gesagt, wusste aber mit Sicherheit, dass Duncan derzeit für keinerlei logische Argumente zugänglich war. Um ihm Trost zu spenden und damit zu signalisieren, dass sie ihn verstand und ihm helfen würde, wo immer es auch erforderlich war, nahm sie einfach sein Hand und drückte diese fest.
Duncan wandte daraufhin den Kopf zur Seite und sah Rachel an. Erst in diesem Moment wurde ihm so richtig bewusst, dass er seit langer Zeit wieder vollkommen gelöst und sogar ein klein wenig glücklich war. Er genoss es ganz einfach, hier mit ihr allein am Ufer des Loch Shiel, seinem Lieblingsort, zu sitzen und über alle möglichen Dinge philosophieren zu können. An diese Platz hier ging er immer, wenn er Kummer hatte oder allein sein wollte. Dies war schon immer so gewesen. Selbst zu der Zeit, als er noch ein kleiner Junge gewesen war. Jetzt war Rachel bei ihm, und es erschien ihm gut und richtig so. Irgendwo in der Nähe sang ein Vogel, es roch nach feuchtem Sand und dem Wasser des Loch Shiel. Die Sonne schien und verbreitete einen wärmenden Glanz. Rein instinktiv verflocht er seine Finger mit den ihren. Das bemerkte er aber erst, als er sich des Ausdrucks in ihren Augen bewusst wurde. Es schien auf einmal so, als wäre die Welt um sie herum zum Stillstand gekommen und nur sie beide wären noch übrig. Hand in Hand dasitzend, sahen sie sich in die Augen und sagten kein Wort. Dies war auch nicht nötig, da beide das Gefühl hatten, den anderen auch ohne Worte zu verstehen.
Nur einen Moment später trafen sich ihre Lippen zu einem Kuss. Für einen winzigen Augenblick genoss Duncan das Gefühl, ihre Lippen auf den seinen zu spüren. Doch dann schreckte er zurück. Es schien zwar gut und richtig zu sein, dennoch sagte ihm sein Gefühl, dass es nicht rechtens war. Er kam sich so vor, als würde er Rachels Gutmütigkeit und ihr Vertrauen missbrauchen.
Ihm war schwindlig vor lauter Sehnsucht. Seiner Kehle entrang sich ein leises Stöhnen. Erneut presste er seine Lippen auf ihren Mund.
Er wusste, dass es nicht richtig war, aber er konnte Rachels Anziehungskraft einfach nicht widerstehen. Schon als ihre Hand die seine berührt hatte, war in ihm der Wunsch geweckt worden, dass sie fortfahren möge, ihn auf jede nur erdenkliche Weise zu berühren. Und als sich ihre Lippen zu einem Kuss trafen, schien es ihm so, als würde er vor Verlangen vergehen. Mit jeder Sekunde und Minute die vorrüberging, fiel es ihm schwerer sich von ihr zu lösen. Er wurde immer willenloser, und mit einem Mal wusste er, dass irgendwann die Zeit kommen würde, da sie beide das fortsetzen würden, was sie soeben begonnen hatten. Doch nicht jetzt und heute. Die Zeit war einfach noch nicht reif dafür.
Langsam löste Duncan seine Lippen von den ihren und schob Rachel sanft von sich.
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„Wow! Eins muss man dir lassen, Duncan, das Küssen hast du jedenfalls nicht verlernt. Du magst zwar etwas aus der Übung sein, aber du küsst immer noch so gut wie früher.“
„Es tut mir leid.“ kam es von Mac. „Ich weiß ehrlich gesagt nicht ,was über mich gekommen ist.“
„Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, Duncan. Ich habe es genauso gewollt wie du. Und ich habe es genossen. Wenn du ehrlich zu dir selbst bist, gestehst auch du es dir ein.“
„Du hast vollkommen Recht, Rachel. Es war schön. Beinahe zu schön. Ich hatte echt meine Probleme, mich von dir zu lösen. Aber ich weiß auch, dass dies weder der richtige Ort noch die richtige Zeitpunkt sind, um möglicherweise etwas anderes daraus entstehen zu lassen. Vor allen Dingen will ich dich nicht ausnutzen oder verletzen, dazu bist du mir einfach zu wichtig. „
„Lass es gut sein, Duncan. Ich habe dir eben etwas gesagt. Und ich habe es genauso gemeint. Und nun komm, lass uns zurück zum Inn gehen.“ sagte Rachel, stand auf und hielt Duncan ihre Hand entgegen. Dieser ergriff sie. Einander bei den Händen haltend, gingen sie zusammen den Weg zurück nach Glenfinnan.
Kapitel 4: Weitere Offenbarungen
Juni 2003 – Loch Shiel, Schottland
Vier Wochen später befanden sie sich wieder an Duncans Lieblingsort und veranstalten dort ein kleines Picknick. Die Sonne, die jetzt Mitte des Monates Juni immer mehr an Kraft gewann, meinte es am heutigen Nachmittag wirklich gut. Duncan und Rachel hatten es sich auf einer Decke gemütlich gemacht und genossen sowohl das gute Wetter als auch das vorbereitete Essen, welches aus schottischer Hausmannskost bestand und neben Potatoscones auch Rührei und Schinken, sowie Oatcakes beinhaltete, die von Rachel liebevoll mit Frischkäse, diversem Gemüse und anderen Früchten, wie Erdbeeren und Ananas belegt worden waren. Außerdem hatte sie auch noch einen Krug mit frisch gepresstem Orangensaft in den Korb getan, den beide jetzt aus Gläsern, die sie ebenfalls in den Korb hineingetan hatte, tranken.
Duncan hatte es nach langem Hin und Her geschafft, Rachel davon zu überzeugen, dass ‚Lenui’ mal für einen Nachmittag zu schließen. Gemeinsam hatten sie beschlossen, die Gunst der Stunde, sprich, das seit einigen Tagen anhaltende früh sommerliche Wetter zu nutzen, und sich eine kleine Auszeit von der Arbeit in der Gastwirtschaft zu nehmen.
Es herrschte fast absolute Stille. Lediglich das surrende Geräusch eines auf dem Loch Shiel fahrenden Motorbootes war zu hören.
Jeder der Beiden hing seinen Gedanken nach. Während Rachel sich fragte, wie es jetzt weitergehen würde, nachdem Duncan in der Nähe von Cul Dorlinn ein Grundstück gekauft und eine Baufirma mit der Umsetzung seiner eigens erstellten Baupläne beauftragt hatte, schlugen dessen Gedanken eine ganz andere Richtung ein. Er fragte sich in diesem Moment gerade, warum eine Frau wie Rachel eigentlich nie geheiratet hatte.
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„Rachel“, sagte er. „könnte ich dir wohl eine Frage stellen. Du musst aber nicht antworten, wenn du nicht möchtest. Ich werde es respektieren, falls du dich dazu entschließen solltest, mir keine Antwort zu geben.“
„Was möchtest du wissen, Duncan?“
„Warum hast du eigentlich nie geheiratet und eine Familie gegründet?“ fragte er.
Nach einem Moment der Überraschung antwortete Rachel ihm.
„Weißt du, es ist nicht so, dass ich es nicht gewollt hätte. Aber irgendwie hat es sich nicht ergeben. Ich war die älteste von drei Geschwistern. Meine beiden Schwestern Sandra und Glenna sind einige Jahre jünger als ich. Als die Familie im Jahr 1977 aufgrund der diplomatischen Tätigkeit meines Vaters nach Washington umziehen musste, war ich nicht einmal den Kinderschuhen entwachsen. Ich war damals gerade zwölf, meine beiden Schwestern Sandra und Glenna acht bzw. fünf Jahre alt. Als Älteste von uns dreien musste ich schon immer eine Auge auf die beiden jüngeren Geschwister haben. Auch deshalb, weil die Tätigkeit meines Vaters als Diplomat haufenweise Verpflichtungen mit sich brachte. Meine Mutter hat ihn oft begleitet, so dass ich gewissen Pflichte übernehmen musste. Wir hätten uns ohne weiteres ein Kindermädchen leisten können, doch dies wollte Mutter nicht. Und im Nachhinein muss ich ihr Recht geben. Es war gut, dass ich mich von Zeit zu Zeit um die beiden kümmern musste. So habe ich schon recht früh gelernt Verantwortung zu übernehmen.“
Rachel unterbrach ihre Erzählung für einen kurzen Moment, um etwas zu trinken und fuhr dann fort.
„Ich bin in Washington in die ‚Friends School’ gegangen und habe später die ‚Princeton University’ besucht. Dort habe ich meinen Abschluss in Betriebswirtschaft gemacht. Nach dem Tod meines Vaters im Jahr 1988 war ich gezwungen nach Glenfinnan zurückzukehren, und mich um das ‚Lenui’ zu kümmern. Es war ja niemand anders da, der den Inn hätte weiterführen können. Männliche Nachkommen gab es nicht. Und da Sandra und Glenna viel zu jung waren und zudem auch ganz andere Interessen hatten, war ich diejenige, die in den sauren Apfel beißen musste. Ich habe mein ganzes Leben umgekrempelt und bin wieder nach Schottland zurückgekehrt. Manchmal wünsche ich mir schon, dass mein Leben ein wenig anders verlaufen wäre. Aber es ist nun mal nicht zu ändern. Ich habe mich damals eigentlich sehr schnell mit der ungewohnten Situation arrangiert. Und wie du zugeben musst, habe ich meine Sache doch ganz anständig gemacht. Oder siehst du das anders?“
Auf keine Fall.“ war Duncans Erwiderung auf ihre Frage. „Zudem man die Tatsache berücksichtigen sollte, dass du auch noch im Gemeinderat von Glenfinnan tätig bist. Du hast wirklich hervorragende Arbeit geleistet und tust das immer noch. Es war für dich gewiss nicht ganz einfach, als junge Frau mit einer so großen Verantwortung fertig zu werden. Du hast das wirklich gut gemeistert. Aber wieso habt ihr euch damals nicht entschlossen, das ‚Lenui’ zu verkaufen?“
„Du musst wissen, Duncan, dass sich das Gasthaus schon seit über 100 Jahren in Familienbesitz befindet. Es dann einfach weg zu geben, kam natürlich nicht in Frage. Mein Vater hatte es seit dem Jahr 1985 geleitet. Dies war im Übrigen der Zeitpunkt, als er seine Arbeit als Diplomat an den Nagel hängte. In den Jahren davor wurde es von meinem Onkel Callum geführt. Allerdings war dieser zum Zeitpunkt von Vaters Tod auch nicht mehr der Jüngste, und somit änderte sich alles für mich. Ich musste mein Leben in den USA aufgeben, denn meine Mutter hätte es nie geschafft, sich um eine Einrichtung dieser Größenordnung zu kümmern. Sie ist nach Dads Tod in die USA zurückgekehrt und in die Eigentumswohnung in Washington D.C. gezogen, die während unserer Abwesenheit vermietet worden war. Meine beiden Schwestern befanden sich zu dieser Zeit noch auf Privatschulen, welche die Familie aus den Mieteinnahmen der Wohnung und aus Rücklagen finanzierte, die mein Vater während seiner Tätigkeit als Diplomat angespart hatte. Aus diesen wurde damals auch ein Teil meines Studiums bezahlt. Den anderen Teil habe ich mir durch Jobs, die ich neben des Studiums noch ausübte, finanziert. Mutter hat im Jahr 1991 wieder geheiratet und ist mit ihrem Mann nach Oregon gezogen. Sandra und Glenna sind inzwischen verheiratet und haben jeweils zwei Kinder. Man hört sich zu den Geburtstagen am Telefon, und das war es dann auch. Ich habe nie die Zeit gefunden die Beiden zu besuchen. Sandra wohnt mit ihrer Familie in Boston und Glenna in Denver. Wie du siehst, hat sich unsere Familie in alle Winde zerstreut. Nur ich bin hier zurück geblieben.“
„Hast du es jemals bereut nach Glenfinnan zurückgekehrt zu sein und den Inn nicht verkauft zu haben?“
„Bereut? Teils , teils.“ antworte Rachel auf seine Frage.
„Ab und an wünschte ich tatsächlich, dass mein Leben in anderen Bahnen verlaufen wäre. Es war ja nicht so, dass ich mir keine Familie gewünscht hätte, aber irgendwie hat es sich nie richtig ergeben. Es gab hier und da Bekanntschaften mit Männern, vor allem während meiner Zeit in den USA. Aber von keinem hätte ich behaupten können, mit ihm ein Familie gründen zu wollen. Und nun ist es für mich wahrscheinlich zu spät, schließlich werde ich im August 38 Jahre alt.“ Der Anflug eines leicht ironischen Lächelns war auf Rachels Gesicht zu erkennen.
„Du siehst immer noch so aus, wie an dem Tag vor knapp acht Jahren, als wir uns das erste Mal getroffen haben. Keinen Tag älter.“ sagte Duncan.
„Es tut mir leid, Rachel. wenn ich dich mit meiner Fragerei in Verlegenheit gebracht haben sollte.“ Er nahm Rachel in seine Arme und gab ihr einen zärtlichen Kuss auf den Mund. Rachel schmiegte sich daraufhin enger an ihn und antwortete: „Es ist schon in Ordnung, Duncan. Ich habe mir dieses Leben ja selbst ausgesucht, also sollte ich mich nicht weiter beklagen. Ich bin gesund, habe ein regelmäßiges Auskommen und lerne durch meine Arbeit im Inn immer wieder nette Leute kennen. Das hierbei womöglich andere Sachen – wie zum Beispiel der Wunsch nach einer Familie - auf der Strecke bleiben würden, habe ich von Anfang gewusst. Möglicherweise war es mir ja vorbestimmt, genau diesen Weg zu beschreiten, den ich jetzt gehe. So etwas nennt man wohl Schicksal.“
„Über dieses Thema brauchst du mir nichts weiter zu erzählen. Ich kenne es zur Genüge. Auch ich habe mir schon oftmals gewünscht, dass ich ein anderes Leben hätte führen können, als dass eines Unsterblichen, der dazu gezwungen ist, gegen seinesgleichen zu kämpfen. Es ist wirklich nicht einfach mit ansehen zu müssen, wie im Laufe der Zeit Menschen, die man liebt und die einem etwas bedeuten - seien sie nun unter den Sterblichen oder auch den Unsterblichen zu finden - entweder sterben, weil sie alt werden, oder wie im Fall der Unsterblichen, dem Schwert eines stärkeren Gegners zum Opfer fallen. Auch nach Jahrhunderten ist es noch schwer. Ich glaube man lernt niemals damit umzugehen – nicht nach 400 Jahren und auch nicht nach 1000 Jahren oder mehr. Der Verlust ist immer wieder gleich schlimm. Von Zeit zu Zeit frage ich mich ernsthaft, wie es Adam geschafft, die unzähligen Jahrtausende zu überstehen, ohne dem Wahnsinn zu verfallen. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich nach einer so langen Zeit noch die Kraft und den Mut aufbringen könnte, mich den immer neuen Anforderungen zu stellen, die das Leben uns abverlangt.
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Rachel, die bei der Erwähnung des Namens Adam hellhörig geworden war, zog sich aus Duncans Armen zurück und drehte sich so, dass sie ihn ansehen konnte.
„Du meinst doch jetzt nicht etwa deinen Freund Adam Pierson? Er ist einer von euch?“ fragte sie ungläubig.
„Doch. Genau ihn meine ich. Er gehört zu uns. Und nicht nur das. Er ist der Älteste von uns Unsterblichen. Adam oder auch Methos, wie er bei guten Freunden bekannt ist, hat mehr als 5000 Jahre auf dem Buckel.“
„Sehr erstaunlich und eigentlich nicht glaubhaft. Aber bei euch Unsterblichen darf man sich über gar nichts wundern.“ meinte sie und lächelte Duncan verschmitzt an.
„Es mag unglaublich klingen und dennoch ist es wahr.“
So wie du jetzt schaust, muss auch ich auch ausgesehen haben, als ich Methos im Jahr 1994 kennen lernte. Der älteste Mensch der Welt, der nicht einmal genau weiß, wann er geboren wurde. Er hat gesehen wie sich Kulturen, Länder und Völker entwickelten, um dann irgendwann als Schatten in der Dämmerung der Zeit zu verschwinden. Er hat Dinge erlebt und gesehen, von denen heute kein Mensch mehr weiß, und trotz allem hat er es immer wieder geschafft sich anzupassen. Er hat überlebt, immer und immer wieder. Dafür bewundere ich ihn. Und auch dafür, dass er es geschafft hat, nach dieser langen Zeitspanne immer noch Mensch zu bleiben.
So wie bei den meisten von uns gibt es auch in seiner Vergangenheit dunkle Punkte. Ich habe ihm lange Zeit seine Aktivitäten während der Bronzezeit übel genommen und konnte zunächst nicht verzeihen. Fast wäre aufgrund meiner eigenen Sturheit und diesbezüglichen Intoleranz unsere Freundschaft daran zerbrochen. Letztendlich habe ich es dennoch zu akzeptieren gelernt, auch deshalb, weil selbst ich von mir nicht behaupten kann, eine blütenreine Weste zu haben. Inzwischen haben wir beide wieder zu der lockeren Art zurückgefunden, die unsere Freundschaft von Anfang so ausgezeichnet und zu etwas besonderem gemacht hatte.“
Duncan lächelte.
„Nach den Geschehnissen in Bordeaux hätte ich wirklich nicht geglaubt, dass die Freundschaft zwischen Methos und mir noch eine Chance hat. Aber uns ist es gelungen diese zu erhalten. Sogar mehr noch. Heute zeichnet sie sich durch eine Tiefe aus, die selbst mich immer wieder aufs Neue erstaunt.“
„Was willst du mir damit zu verstehen geben, Duncan? Welches Vergehens hast du dich schuldig gemacht? Ich kann ehrlich gesagt nicht glauben, dass du etwas Unrechtes getan haben solltest. Du bist der geradlinigste Mensch, den ich jemals kennen gelernt habe.“
„Dein Vertrauen in mich ehrt dich, Rachel. Dennoch habe auch ich unschuldige Menschen auf dem Gewissen, Personen, die rein gar nichts mit dem ‚Spiel’ der Unsterblichen zu tun hatten.“
Rachel blickte ihn erstaunt an.
„Culloden.“ hauchte Mac mehr, denn er es sagte.
„Diese Zeit hat größere Wunden bei mir hinterlassen, als du dir vorstellen kannst. Nach der Schlacht im Culloden Muir, die Schottlands Schicksal endgültig besiegelte, habe ich einen unbändigen Hass auf alles Englische entwickelt. Mochte ich die Engländer vorher nicht, so hasste ich sie jetzt aus tiefstem Herzen. Wie ein Berserker ritt ich durch das Land. Wild tobend metzelte ich alles nieder, was sich mir an Engländern in den Weg stellte. Dabei nahm ich nicht einmal Rücksicht darauf, ob dies im Beisein von Frauen und Kinder geschah. Ich weiß, dass ich nicht das Recht dazu hatte, meine Wut an unschuldigen Menschen auszulassen, nur war ich damals so in meinem Hass gefangen, dass ich für nichts anderes zugänglich war.“
Rachel, die darauf wartete, dass Duncan noch etwas sagen würde, sah sich enttäsucht. Um ihn von seinen düsteren Gedanken abzubringen, beschloss sie, dass zuletzt Gehörte zu ignorieren und fragte: „Du warst bei dem Aufstand von 1745/46 dabei? Ich dachte immer, dass du, nachdem du gezwungen warst Glenfinnan im Jahr 1622 zu verlassen, nicht wieder nach Schottland zurückgekehrt bist. Warst du dabei als der Prinz hier in Glenfinnan seine Standarte setzte?“
„Nein. Als der Prinz in Glenfinnan landete, war ich nicht dabei.“ antwortete Duncan.
„Du solltest wissen, dass ich ihn von meinem Aufenthalt am französischen Hof her kannte. Im Frühjahr des Jahres 1745 durchreiste ich das schottische Hochland mit der Absicht die Chieftains der hiesigen Clans für die Sache von Charles Edward Stuart zu gewinnen…“
Ende Teil 2
© Norina Becker (Januar 2008)

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